Wie beurteilt die Hospizbewegung die aktive Sterbehilfe

Im Hinblick auf die aktuelle Diskussion um einen Gesetzentwurf zum ärztlich assistierten Suizid und die damit verbundenen politischen Reaktionen, möchten wir an dieser Stelle unseren Standpunkt darstellen. Im allgemeinen Sprachgebrauch und auch in der medialen Berichterstattung vermischen sich die in der aktuellen Diskussion immer wieder vorkommenden Begriffe. Zunächst daher zur Klärung dieser Begriffe.

Zulassen des Sterbens / Passive Sterbehilfe

Passive Sterbehilfe ist ein missverständlicher Begriff, der benutzt wird, um Unterlassen, Reduzieren oder Beenden lebenserhaltender Maßnahmen zu beschreiben. Mit passiver Sterbehilfe ist nicht gemeint, sinnvolle Therapiemaßnahmen vorzuenthalten oder abzubrechen – es sei denn dies entspricht dem erklärten Willen des Patienten von einer Maßnahme abzusehen. Verfügt ein Mensch, dass z.B. seine Beatmung abgestellt oder eine künstliche Ernährung in einer bestimmten Situation unterlassen werden soll, so ist der behandelnde Arzt daran gebunden. In diesem Sinne ist Zulassen des Sterbens gemeint.

Zulässige Leidenslinderung bei Gefahr der Lebensverkürzung / Indirekte Sterbehilfe

Der Begriff "Indirekte Sterbehilfe" ist definiert als eine Beschleunigung des Todeseintritts als (unbeabsichtigte) Nebenwirkung einer sinnvollen therapeutischen Maßnahme. Damit beschreibt der Begriff die zulässige Leidenslinderung bei Gefahr der Lebensverkürzung. In der palliativmedizinischen Praxis spielt die indirekte Sterbehilfe im Grunde keine Rolle, da bei korrekter Anwendung, etwa einer schmerzlindernden Therapie, keine Beschleunigung des Todeseintritts zu erwarten ist, selbst bei sehr hohen Opioiddosierungen.

Assistierte Selbsttötung / Suizidbeihilfe

Eine Person leistet Beihilfe zum Suizid, etwa durch Beschaffung eines tödlichen Mittels. Der sterbewillige Mensch muss die Tötungshandlung selbstständig durchführen, z.B. das Medikament in tödlicher Dosierung selbständig einnehmen. Dabei darf nicht einmal jemand seine Hand führen.

Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland straffrei.

Ärzten drohen theoretisch jedoch berufsrechtliche Konsequenzen bis hin zum Entzug der Approbation: „Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten», heißt es in § 16 der Muster-Berufsordnung, wie sie als Empfehlung vom Deutschen Ärztetag 2011 beschlossen wurde. Dieser Passus aus der Musterberufsordnung wurde nicht in allen Landesärztekammern in die jeweilige Berufsordnung überführt. In zehn Landesärztekammern (so auch in Hessen) wurde diese Formulierung übernommen. In zwei Berufsordnungen (LÄK Westfalen-Lippe und LÄK Berlin) heißt es "[…] sollen nicht […]" und in weiteren fünf, darunter Rheinland-Pfalz, wird die Hilfe zur Selbsttötung nicht explizit erwähnt.

Tötung auf Verlangen / Aktive Sterbehilfe

Der Tod eines Menschen wird auf sein Verlangen hin durch eine zweite Person absichtlich und aktiv herbeigeführt. Zum Beispiel, indem ein Arzt auf den erklärten, dezidierten Willen eines Patienten hin eine tödliche Dosis Medikamente verabreicht. Diese Form der Sterbehilfe ist in Deutschland verboten und strafbar (§ 216 StGB Tötung auf Verlangen). In den Niederlanden wie auch in zahlreichen anderen Ländern wird hierfür der Begriff Euthanasie verwendet. Dieser Begriff ist für uns Deutsche allerdings aus den Zeiten des Nationalsozialismus besetzt.

Zuhören – Annehmen – Begleiten

In der aktuellen Diskussion rund um Sterbehilfe, um ein Verbot aller Formen der gewerblichen und organisierten Beihilfe zum Suizid sowie den ärztlich assistierten Suizid gibt es zwei wesentliche Aspekte, bei denen sich alle bundespolitischen Parteien einig sind: Die Tötung auf Verlangen wird explizit ausgeschlossen – und die hospizlich- palliativen Strukturen sollen weiter ausgebaut werden. Dies ist im Übrigen auch Bestandteil des Koalitionsvertrages.

Auch wir lehnen die Tötung auf Verlangen entschieden ab. Ein flächendeckender Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung nimmt schwerstkranken und älteren Menschen die Angst vor einem unwürdigen, leidvollen Sterben. Ebenso halten wir die Duldung von organisierter oder gar gewerblicher Sterbehilfe für das falsche Signal. Wir sehen daher die Gesellschaft insgesamt in der Verantwortung: Es ist unser aller Verpflichtung, dass es gar nicht erst zum Suizidwunsch kommt, und dass der im Grundgesetz garantierte Schutz der Würde und des Lebens nicht in Frage gestellt wird.

Wir, unser Team aus Ärzten, Pflegenden, weiteren Berufen des Gesundheitswesens, Seelsorgern und Ehrenamtlichen lassen die Patienten und ihre Angehörigen im Leben und im Sterben nicht allein. Wir gewährleisten die bestmögliche Linderung von Symptomen und Nöten und halten gemeinsam mit Patienten und deren Familien auch kritische Phasen der Erkrankung aus, in denen Lebenswille und Todessehnsucht dabei zeitweilig durchaus nebeneinander stehen können.

Die Sorgen schwerstkranker und sterbender Menschen sowie ihrer Angehörigen gilt es ernst zu nehmen. Häufig sind es Ängste vor Schmerzen, vor Einsamkeit, vor Verlust der Selbstbestimmung und die Furcht, anderen Menschen zur Last zu fallen, die zu Suizidgedanken führen.

In unserer täglichen Arbeit machen wir immer wieder die Erfahrung, dass durch Linderung von Schmerzen und anderen Beschwerden, durch Zuwendung und Begleitung, sowie das Anhören, Annehmen und Ernstnehmen von Sorgen und Ängsten, der Wunsch nach einem Beenden des eigenen Lebens in den Hintergrund tritt. Wir, ehren- und hauptamtliche MitarbeiterInnen, stehen Patienten und Angehörigen für Gespräche gerne zur Verfügung und bieten ihnen unsere Unterstützung in schweren Zeiten an. Sprechen Sie uns bitte an.

Auch der Deutsche Ethikrat unterstützt die in den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung nachzulesende Position, dass die Mitwirkung beim Suizid keine ärztliche Tätigkeit ist, und fordert eine gesetzliche Stärkung der Suizidprävention. Hier sollen insbesondere die Ärzte für schwerstkranke Menschen vertrauensvolle Ansprechpartner sein, um in einem geschützten Rahmen offen über Suizidgedanken zu sprechen.

Wir halten insgesamt die bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen für ausreichend. Eine Gesetzesänderung, in der die Verfahrensweise zur straffreien Durchführung des ärztlich assistierten Suizids festgelegt würde, ist keine adäquate Antwort auf Leiden, sondern birgt unabsehbare Risiken in sich. Diese Auffassung teilen auch die Inhaber der palliativmedizinischen Lehrstühle in Deutschland (dgpalliativmedizin.de · Pressemitteilung Donnerstag, 09. Oktober 2014).

An dieser Stelle möchten wir darauf hinweisen, dass bei der aktuellen Rechtslage in Deutschland weder medizinische Eingriffe noch lebensverlängernde Maßnahmen gegen den Willen eines Patienten erfolgen dürfen. Für den Erhalt von Kontrolle und Selbstbestimmung bis an das Lebensende können neben frühzeitigen Gesprächen auch die Patientenverfügung und Vorsorgeplanung genutzt werden. Zu Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht können Sie sich gerne nach Terminvereinbarung bei uns beraten lassen.

Dieser Text entstand im Rahmen einer internen Klausur unter Beteiligung von Mitarbeitenden des ambulanten Hospiz- und Palliativteams, des Christophorus-Hospizes (Mainz-Drais) der Palliativstation der Universitätsmedizin Mainz sowie Mitgliedern des Vorstandes der Mainzer Hospizgesellschaft e.V. In der Arbeitsgruppe waren Pflegende, Ärzte, Seelsorger beider Konfessionen, Psychologen wie auch ehrenamtlich tätige Menschen vertreten.

Sandra Mai / Uwe Vilz

Quelle: Mainzer Hospiz · Mitteilungen März 2015 (Seite 10–11)PDF · 3,2 MB

Um all diese Fragen kreist die kontroverse Debatte zur Sterbehilfe. Es geht um Leben und Tod, Selbstbestimmung und sozialen Druck, Würde, Religion, Ethik und Moral. Sterbehilfe ist ein so polarisierendes wie emotionales Thema. Doch wovon reden wir überhaupt, wenn wir von "Sterbehilfe" sprechen? Heißt "Sterbehilfe" Hilfe zum Sterben oder Hilfe beim Sterben? Während es sich bei aktiver und passiver Sterbehilfe sowie dem assistierten Suizid um Hilfe zum Sterben handelt, kümmern sich Palliativmedizin und Hospizbewegung darum, das Lebensende möglichst angenehm zu gestalten – sie helfen Menschen beim Sterben. All diese Maßnahmen – ob lebensverlängernd oder -verkürzend – werden unter dem Begriff „Sterbehilfe“ diskutiert. Dabei unterscheiden sie sich stark voneinander.

Hilfe zum Sterben – aktive, passive & indirekte Sterbehilfe

Als aktive Sterbehilfe bezeichnet man die Tötung durch Dritte: Hier verabreicht ein Arzt dem Betroffenen auf Wunsch ein Mittel, das zum Tod führt. Die aktive Sterbehilfe ist weltweit lediglich im US-Bundesstaat Oregon, den Niederlanden, Belgien sowie Luxemburg erlaubt. Bei der sogenannten passiven Sterbehilfe hingegen führt der Arzt den Tod nicht durch die Verabreichung eines Mittels aktiv herbei, sondern lässt den Patienten sterben, indem er auf lebensverlängernde Maßnahmen wie z.B. künstliche Ernährung, Dialyse oder künstliche Beatmung verzichtet. Statt von passiver Sterbehilfe spricht man auch vom „Sterbenlassen“. Als indirekte Sterbehilfe wird das Verabreichen von (schmerzlindernden) Medikamenten bezeichnet, die möglicherweise lebensverkürzend wirken. Der Begriff der indirekten (aktiven) Sterbehilfe ist jedoch umstritten, da die Intention des/der Arzt/Ärztin bei palliativmedizinischen Maßnahmen, die derartige Nebenwirkungen haben können, nicht auf das vorzeitige Sterben gerichtet ist, sondern auf die Verbesserung der Lebensqualität des Sterbenden.

  • Pro Sterbehilfe: Warum die Aussicht auf Sterbehilfe suizidpräventative Wirkung haben kann, erklärt Ingrid Matthäus-Maier, Beiratsmitglied der Giordano-Bruno-Stiftung, in ihrem Debattenbeitrag.

Beihilfe zur Selbsttötung – eine rechtliche Grauzone

Beim assistierten Suizid hingegen reichen Angehörige oder Freund/-innen dem/der Betroffenen auf dessen/deren Wunsch hin ein Medikament, das zum Tod führt. Die Betroffenen müssen es eigenständig einnehmen. Genau wie der Suizid selbst ist auch die Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland nicht verboten – sofern die Betroffenen noch in der Lage sind, den letzten Schritt eigenständig auszuführen und solange es Angehörige und Freund/-innen sind, die diese Beihilfe leisten. Die so genannte ärztliche Musterberufsordnung, die von der Bundesärztekammer formuliert wird, verbietet Ärzt/-innen in Deutschland die Beihilife zum Suizid. Jedoch ist die Berufsordnung nicht verbindlich und so haben einigen Landesärztekammern sie nicht in das Standesrecht ihrer jeweiligen Länder übernommen. Gesetzlich zugelassen ist die ärztliche Suizidbeihilfe zum Beispiel in den US-Bundesstaaten Washington und Oregon. In Europa ist sie in einigen Ländern nicht strafbar, solange bestimmte Bedingungen erfüllt werden: in der Schweiz ist sie beispielsweise nur dann strafbar, wenn beim Arzt oder der Ärztin egoistische Motive vorliegen, in den Beneluxstaaten ist sie nur unter Einhaltung bestimmter Kriterien erlaubt – wie aussichtsloser Krankheit und der Bestätigung durch eine zweite Ärztin oder einen zweiten Arzt.

  • Unsere Infografik gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Rechtsprechungen zum Thema Sterbehilfe in Europa. (in Kürze)

  • Im Glossar

    erklären wir die wichtigsten Begriffe der Debatte.

Hilfe beim Sterben – Hospizbewegung und Palliativmedizin

Im Gegensatz zu den oben aufgeführten Formen der Hilfe zum Sterben geht es der Hospizbewegung um Sterbebegleitung. Sie beschäftigt sich mit der Verbesserung der Situation Sterbender und ihrer Angehörigen. Dabei werden Methoden der Palliativmedizin genutzt, bei der nicht die Lebensverlängerung im Vordergrund steht, sondern die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen an ihrem Lebensende. Laut einer Definition der Weltgesundheitsorganisation und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin geht es dabei um "die aktive ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer voranschreitenden, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung zu der Zeit, in der die Erkrankung nicht mehr auf eine kurative Behandlung anspricht." Diese Behandlung schließt sowohl körperliche als auch – sofern vom Patienten oder der Patientin gewünscht – soziale, psychische und spirituelle Aspekte mit ein.

  • Auch bei verschiedenen Religionsvertreter/-innen haben wir nachgefragt und Ihre Standpunkte zur Sterbehilfe in einem Videomosaik zusammengefasst. 


Weitgehende Akzeptanz in der Bevölkerung, Unklarheit in der Politik

Vier Fünftel der Deutschen stehen laut einer Umfragevon infratest dimap aus dem vergangen Jahr, der Sterbehilfe offen gegenüber. Ein Drittel könnte sich sogar vorstellen, die aktive Sterbehilfe zur erlauben. Nur 12 % sind für ein generelles Verbot der Sterbehilfe. In der deutschen Politik ist das Verbot der aktiven Sterbehilfe relativ unstrittig, die Diskussionen konzentrieren sich hier vor allem auf die Rolle der Ärztinnen und Ärzte. Sie bewegen sich bei der Suizidbeihilfe in einer rechtlichen Grauzone. Seit Ende 2014 berät der deutsche Bundestag über eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe. Geplant ist noch in diesem Jahr ein neues Gesetz zu verabschieden, dass die Sterbehilfe in Deutschland klarer regelt. Netzdebatte wird zeigen, welche unterschiedliche Ansätze hier verfolgt werden und die aktuelle Bundestagsdebatte begleiten.

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