Welche personengruppen gehören zu den gauklern

Geschichte | 12. Juni 2016

Das Mittelalter ist für viele Menschen eine faszinierende Epoche. Aber für genauso viele Menschen ist es unverständlich, warum man so viel Zeit und Energie in eine so extravagante Leidenschaft aufwendet. Hier gibt es eine kurze Erklärung, warum die rund 700 Jahre zwischen der Antike und der Neuzeit so spannend sind.

Mittelalterlicher Schwertkampf ist für viele ein spannendes Thema. Oft so spannend, dass sie sich nur auf diesen Aspekt des «Mittelalter-Hobbys» spezialisieren.Fotos: Patrick Schmed

Es ist Sommer. Die Temperaturen steigen, und das Wetter wird wieder schöner. Immer mehr Veranstaltungen finden im Freien statt. Dazu gehören auch die zahlreichen Mittelaltermärkte und Ritterlager. Im Wochenendrhythmus locken diese zahlreiche Besucher an. Dort zeigen Ritter, Gaukler, Adelige, Kleriker und Handwerker, wie das Leben im Mittelalter zuging. Da gibt es einen Schmied, einen Kettenhemdweber, einen Böttcher, einen Schneider, Bäcker, Kunsthandwerker und so weiter. Fast jeder Beruf des Mittelalters wird anschaulich dargeboten, die Darsteller selbst geben sich jede Mühe, so authentisch rüberzukommen, wie es geht. Sie tragen entsprechende Kleidung, benutzen mittelalterliche Werkzeuge und versetzen sich auch sonst voll und ganz in ihre Rolle. Dann gibt es natürlich die Adeligen und Ritter. Sie reiten auf Pferden, kämpfen mit dem Schwert, bezirzen die jungfräulichen Damen und erlangen Ruhm und Ehre. Für die Besucher ist dies ein kurzweiliger Anlass mit ein paar Verkleideten, die eine gute Show abliefern. Sie schauen sich das Spektakel an, fahren am Abend heim, setzten sich vor den Fernseher und sind wieder im 21. Jahrhundert. Von dort kommen Sie her, hier bleiben sie.

Auf Mittelaltermärkten und Ritterlagern versuchen die Darsteller, das mittelalterliche Leben so akurat wie möglich abzubilden. Dazu gehören auch Musik und Tanz.

Aber für viele der zahlreichen Mittelalter-Darsteller ist es mehr als ein Hobby. Sie gehen abends nicht heim, sie bleiben in der Verkleidung, nennen es Gewandung, und für sie fängt die Sache erst richtig an, wenn die Zuschauer weg sind. Dann ist die Show vorbei, und das richtige Leben beginnt. Es wird gefachsimpelt: Gab es diese Art von Schwert damals wirklich in der Form; wurde das erste Exemplar damals auf dieser oder jener Burg gefunden? Diese und noch viel tiefergehende Diskussionen sind an einem Ritterturnier nach Besucherschluss im ganzen Lager an der Tagesordnung. Im Hintergrund spielt die Musik diverser Mittelalterbands vom Tonträger – die Live-Band macht jetzt auch einmal Pause – und auf den Tischen steht wieder reichlich Met. Der eine übt noch etwas mit dem Langbogen oder lässt sich von einem anderen noch ein paar Schwertkampftechniken zeigen. Man ist ausgelassen, geniesst die Zeit zusammen unter Gleichgesinnten.

Doch was fasziniert die vielen Menschen so sehr an dieser vergangenen Epoche? Was treibt sie an, ihre wohlverdienten Wochenenden auf einer Wiese in einem Zelt zu verbringen und zum Beispiel auf ein Mobiltelefon und andere moderne Annehmlichkeiten zu verzichten?

Auf einem Mittelaltermarkt findet man schnell Gleichgesinnte, und es entstehen Freundschaften.

Die Frage lässt sich einfach beantworten. Es macht schlichtweg Spass, in mittelalterlicher Gewandung in einem Zelt auf einer Wiese zu übernachten, und auf alle Annehmlichkeiten des modernen Lebens zu verzichten. Es macht Spass, sich im Schwertkampf zu messen oder sein Geschick mit dem Bogen unter Beweis zu stellen. Es macht Spass zu entdecken, wie ein Kettenhemd gewebt wurde, die Menschen damals Brot gebacken haben oder ihre Kleidung schneiderten. Durch die Möglichkeit, diese Dinge selbst zu erfahren und sich aktiv einzubringen, bekommt die Auseinandersetzung mit der Thematik eine andere Qualität, als würde man nur in Geschichtsbüchern nachlesen, wie es denn war.

Viel Zeit für die alten Zeiten

Viele betreiben dieses Hobby sehr intensiv, und es ist für sie mehr als nur eine Leidenschaft; für manche wird es zu einer Lebenseinstellung. Sie wollen alles erfahren, alles wissen. Die Regale zu Hause sind vollgestopft mit historischen Romanen, die DVD-Sammlung immer auf dem neusten Stand der aktuellen Filme à la «Braveheart» oder «Robin Hood». Dann wird an Feierabenden noch am Kettenhemd gebastelt, an der neuen Gewandung gewebt oder das neue Leder für die authentischen Schuhe bearbeitet. Auch das äussere Erscheinungsbild passt sich an. Zum Beispiel ist eine längere Haarpracht bei Männern oder ein Spitzbart keine Seltenheit.

Für viele ist es undenkbar, ihr Wochenende in einem Zelt auf einem Ritterlager zu verbringen. Für Mittelalter-Begeisterte ist es das Grösste.

Das Mittelalter ist eine Leidenschaft, die viel mehr ist als die Beschäftigung mit längst Vergangenem. Viele Facetten, die bei anderen Hobbys nur isoliert stehen, werden hier verbunden. Es geht zum Beispiel um die Aneignung von Wissen in Kombination mit Handwerk: Man liest sich darüber ein, wie ein mittelalterlicher Langbogen aussah, besorgt sich das nötige Werkzeug und fängt an, ihn selbst zu bauen. Oder es geht um die Aufbearbeitung von historischem Schwertkampf. Man studiert alte Quellen und versucht dann, die entsprechenden Hiebe zu schlagen. Am Anfang steht die Neugier, am Ende die Umsetzung. Machen dies viele Menschen gemeinsam und teilen ihre Erfahrungen, finden Mittelaltermärkte und Ritterturniere statt. Dort treffen sich Gleichgesinnte.

Der Besuch von historischen Orten gehört für die meisten Mittelalter-Fans zum Pflichtprogramm.

Die Ausprägungen innerhalb der Szene sind mittlerweile vielfältig. Die einen tauchen jedes Wochenende in eine andere Zeit ab, gewanden sich wie mittelalterliche Herrschaften, leben im originalgetreuen Ritterzelt, kochen über dem offenen Feuer und versuchen sogar, so zu sprechen wie Adelige oder Bedienstete aus dem 13. Jahrhundert. Ihnen geht es um das Gefühl aus Realitätsverlust und einer neuen Erfahrung, gewonnen aus der Darstellung vergangener Zeiten, die sie nie erlebt haben, basierend auf der Grundlage, für deren Aneignung sie so viel Zeit aufwendeten. Zuweilen verbinden sie dies mit einem gewissen wissenschaftlichen Anspruch und nennen es experimentelle Archäologie oder Reenactment.

Nah an die frühere Realität

Dann wiederum gibt es diejenigen, die nur an der reinen hisorischen Korrektheit interessiert sind. Sie wollen erfahren und erforschen wie die Realitäten für Einzelne oder bestimmte Personengruppen wirklich ausgesehen haben. Hierbei spezialisieren sich diese Personen zumeist auf ein bestimmtes Teilgebiet das Mittelalters. Sei es das Nähen, die Kunst des Hausbaus mit einfachsten Mitteln oder gar die Wiederentdeckung des historisch akuraten Schwertkampfes. Dabei wird zumeist auf das Gesamterlebnis «Mittelalter» verzichtet und zum Beispiel keine Gewandung getragen, sondern nur der akurate historische Schwertkampf geübt.

Weit verzweigtes Hobby

Wieder andere nehmen die Sache nicht so genau und bringen noch fantastische Elemente hinein. Dann stellen sie Elfen, Zwerge und Orcs dar. Es gibt Zauberei und magische Gegenstände. Genannt wird so etwas dann «Live Action Role Play». Auch hier werden alle Gegenstände und Gewandungsteile zum Grossteil wieder selbst hergestellt.

In Burgen und Museen holen sich die Mittelalter-Darsteller ihre Inspiration und eignen sich neues Wissen an.

Oft wird der Szene vorgeworfen, sie würde das Mittelalter verklären und ein falsches Bild vermitteln. Viele der Menschen, die sich mit dem Mittelalter auseinandersetzen, wissen um die historischen Realitäten, doch für sie ist das ein Hobby und für manche von ihnen sogar mehr als das. Niemand von ihnen würde bestreiten, dass das Mittelalter eine schwierige Zeit zum Leben war, und nur sehr wenige der Mittelalter-Fans würden wirklich zu dieser Zeit gelebt haben wollen. Doch als facettenreiches Hobby, das sich durch alle Lebensbereiche hindurchzieht, bei dem man schnell Gleichgesinnte trifft und auch Freundschaften knüpfen kann, ist die Epoche zwischen der Antike und der Neuzeit genau das Richtige. Da macht es nichts, dass einige unangenehme Aspekte ausgeklammert werden. Das gibt es auch bei anderen Hobbys.